In Bogdans Reich

In der dritten Woche unseres Aufenthaltes bei den „Bogdans“ in Rásnov ist es mir ein Bedürfnis diesen besonderen Ort und ein paar unserer Erlebnisse hier genauer zu beschreiben.

Neben den ziemlich normalen Stadthaus, welches sie erst dieses Jahr gekauft haben, haben die Bogdans vor sieben Jahren 1.5 Hektar Waldland in den Ausläufern der Karpaten gekauft und darauf direkt ein Haus selbst gebaut.

Der Zugang zum Grundstück erfolgt über einen stark zerklüfteten Feldweg, so dass wir uns entschieden haben unseren Luigi in der Stadt zu lassen und uns hier in einem alten herumstehenden Wohnwagen (mit dem die Bogdans 2013 für neun Monate zu fünft (!) Europa bereisten) kurzfristig einzurichten. Im Nachhinein eine super Entscheidung, ohne die wir einige Erfahrungen nicht so intensiv hätten machen können.

Das Haus ist fast in reiner Eigenleistung gebaut, mit Unterstützung durch Reisende, die ihre Fähigkeiten bestmöglich mit eingebracht haben. Der Elektriker z.B. kam irgendwo aus Afrika :-). Das Haus ist zu großen Teilen aus recycelten bzw. gebrauchten Materialien gebaut. Das heißt vor allem auch, dass hier nichts Standard ist. Jedes Fenster ist anders, jeder Boden, es gibt eigentlich keine geraden Wände – diese sind aus Strohballen und Lehm geformt, das Grundgerüst ist natürlich Holz, das Dach ist aus Blech. Dabei ist das Haus sozusagen organisch gewachsen und immer wieder verbessert worden. Natürlich ist es aber bis heute nicht fertig, das gesamte Obergeschoss wartet noch auf den Ausbau.

Es gibt hier keinen Strom- und Wasseranschluss, beides wird selbst erzeugt bzw. gefördert. Zusammen mit dem kleinen Garten und den Nachbarn die Milch, Käse, Fisch und Fleisch produzieren ist das ein wirklich unabhängiger Ort.
Wobei die Familie auch ganz „normal“ einkaufen geht und dabei versucht naturgerecht zu konsumieren. Das gelingt auch hier nur teilweise.

Solaranlage

Auch wenn das alles sehr idyllisch klingt, muss man das richtig wollen. Die ersten Jahre hier waren ohne jeglichen Komfort (heißt also „durchziehen“), das Klima ist kühl-feucht (im Sommer im Vergleich zur Stadt sehr angenehm) und die Winter rauh.

Ich habe noch niemals einen solchen Ort – irgendwie abseits der Zivilisation aber dennoch nah dran – erleben dürfen und bin sehr dankbar, dass uns unser Weg hierher geführt hat.

Dabei ist der Aufenthalt für uns nicht immer einfach, es gibt zahlreiche Herausforderungen denen wir uns stellen dürfen oder bereits durften.

Da sind zuallererst einmal die blutsaugenden Insekten: diese haben vor allem mich entdeckt und ich habe unzählige Stiche und sicher schon einen halben Liter Blut unfreiwillig abgegeben.

Die nächste Herausforderung sind die Hunde: nicht nur das die eigenen zwei Hund halbe Kälber sind, nein, die Hunde in der Umgebung sind teilweise noch größer und für uns schwer berechenbar.
So war ich einen Tag mit Bogdans Freund César im Wald laufen, als uns nach ca. 1.5km erst zwei und kurz darauf fünf Schäferhunde zum geordneten Rückzug zwangen. Wilde große Kerle die unmissverständlich klar machten: das hier ist unser Gebiet. César blieb cool und redete und pfiff ruhig auf die Hunde ein und wir gingen langsam Rückwärts (wegrennen nützt wohl nichts, hätte ich aber allein sicher getan) bis sie von uns abließen. Also einfach mal loswandern hier ist für uns schwierig, wir verlassen uns
somit auf die offiziellen Wandergebiete.

Eines Nachts war zudem einer der Hunde namens Albush ausgebüchst und ich ich war hart an meiner Grenze den Kollegen einzufangen und einzusperren. Ich glaube er hatte letztendlich Mitleid mit mir und hat es dann geschehen lassen. Meine Angst war sicher für ihn gut spürbar. Früh um fünf befreite ich dann noch den zweiten und noch größeren, zotteligeren Hund namens Zora von ihrer verhangenen Kette. Seitdem sind wir irgendwie Kumpels :-).

Für Hundekenner und Liebhaber sicher alles kein Problem und für mich eine gute Schule – aber eins ist Fakt: ich bin und bleibe ein Katzenmensch 🐱.

Eine weitere Herausforderung ist das schlafen im bzw. am Wald: eine diffuse Angst bemächtigt sich meiner und ich muss mir immer wieder klar machen, dass dazu kein Grund besteht. Das wird durch irgendwelches Getier unter unserem Wohnwagen immer wieder erschwert. Manchmal glauben wir auch, dass Mäuse unter den Klappen auf denen wir schlafen unterwegs sind. Und pullern gehen draußen im Dunkeln mit all den Insekten, halbwilden Hunden und anderen Tieren – da klopft das Herz schon mal etwas schneller. Und ich dachte immer ich bin ein Naturbursche…

Klingt schon etwas lächerlich, ist aber dennoch meine aktuelle Realität. Zum Glück habe ich die Toilette in Stand gesetzt, falls nötig kann nun auch drinnen gepullert werden =).

Zu guter Letzt noch einmal die permanente Herausforderung Sauberkeit: das läuft hier einfach auf einem anderen Level ab. Und es scheint der Familie gut damit zu gehen! Mittlerweile haben wir uns aber auch daran gewöhnt bzw. machen unser Ding wenn es nötig ist. Laut Aussage von Bogdan sind die Kids auch fast nie krank und sehr robust. Interessant.

Ja, das alles sind eher Kleinigkeiten (und „Es ist nur in deinem Kopf“) und zeigt mir deutlich wie viele Komfortzonen und hohe Standards in meinem bzw. unserem Leben eben Normal sind. Ob wir das alles so brauchen ist eine sehr gute Frage.

Die positiven Eindrücke überwiegen bei Weitem: die Nähe zur Natur, der tolle tägliche Ausblick auf die Berge, baden im eiskalten Gebirgsfluss, barfußlaufen, gemeinsam kochen, wandern und vor allem unsere Projekte hier machen riesigen Spaß.

Jedes dieser Projekte hat natürlich einen passenden Namen – so auch das erste welches wir in Angriff genommen haben: „Warm water for Bogdan“.

Dabei habe ich mit Bogdan das Gerüst, welches die Warmwasseraufbereitung (Solar) trägt, instandgesetzt. Das Ganze war etwas abenteuerlich, weil die Konstruktion eben schon stark marode war und eigentlich komplett neu aufgebaut werden müsste. Aus Ressourcenmangel musste aber das Bestehende irgendwie instandgesetzt werden, was dann letzendlich mit Wagenheber und Metallstützen gelang.

Das nächste Projekt „Stairway to heaven“ war eine Treppe, die die untere Wiese mit den Wohnwagen mit dem auf der oberen Wiese stehenden Wohnhaus verbindet. Einfach in den Hang gehauen, Bretter an die Stufenfront, die Trittflächen mit Steinen belegt und mit Mörtel verfugt – macht sie zumindest aktuell einen stabilen Eindruck.

Der Wohnwagen in dem wir nun gerade beheimatet sind, wurde durch das Projekt „TurtlePower“ wieder per Solarpanel und Autobatterie mit Strom versorgt (Kommentar Sindy: „Wir brauchen keinen Strom, wir brauchen sauberes Wasser.“ Wird noch.) und im Zuge des Projektes „Blooming Roses“ mit hängenden Blumenhaltern und selbstgebauten Balkonkästen verschönert. Der Wohnwagen ist nun wirklich gemütlich und auch das Wasser fließt – allerdings mangels sauberen Wassertank noch nicht nutzbar und zudem zeitgleich aus der Dusche wenn man in der Küche das Wasser anstellt. Darum darf sich aber der nächste Gast kümmern :-).

In den letzten Tagen haben wir das Wohnmobil der Familie mit bemalt, die nächste Woche damit nach Griechenland fahren wollen. Eine meditative Tätigkeit. Ein Teil von uns fährt nun also immer mit – irgendwie ein schönes Gefühl.

Es ist wunderbar Kleinigkeiten mit beitragen und dabei sehr frei und ohne jeglichen zeitlichen Druck mitmachen zu können. Das Zusammenleben gestaltet sich unglaublich locker und eben „Free-style“.

Diese Grundhaltung wird durch den engen Austausch mit Bogdan und Nicoletta immer wieder deutlich. Vor allem die Gespräche am Lagerfeuer geben mir dabei Einblicke in die Gedankenwelt von Bogdan. Dabei stimme ich nicht mit allem überein, viele Ansichten teile ich jedoch und fühle mich sogar bestärkt.

Auf meine Frage, wie oft er denn an dem Projekt „Leben im Wald“ beim umsetzen gezweifelt habe, schaut er mich etwas verwundert an. „Ich habe das gewollt und alle auftretenden Probleme betrachte ich als Chance etwas Neues zu lernen.“ Kein großes Handern, sondern eine Lösung suchen und umsetzen. „Live is a puzzle“ – und wenn Du etwas richtig willst und alles dafür tust, kommt auch alles zur rechten Zeit. So hat er auch zwei Jahre auf die Glasfront im Wohnzimmer gewartet und bis dahin das 2×2 meter große Loch in der Wand mit Folie verdeckt. Denn er wollte keine fertige Lösung kaufen sondern eben Altes recyclen. Klare Linie. Nach zwei Jahren kam plötzlich die heutige Glasfront über Kontakte hierher und passte sofort perfekt in das Loch. Witzig und doch für mich (bisher) unvorstellbar.

Auch betrachtet er Emotionen wie Ärger, Wut, „etwas jetzt unbedingt haben oder tun wollen“ als Herausforderung und trainiert sich selbst diesen eben nicht immer nachzugeben. Und das kann man vor allem im Umgang mit seinen vier Kids spüren. Zum abgucken.

Auch die ständigen Planänderungen hier gehören zum Programm und werden meist gelassen oder mit Humor hingenommen – dann wird aber auch sofort losgelegt. Nicht immer „Quality first“, aber mindestens ausreichend. Das ist der hier vielbeschworene „Latin-Way“.

Das er dem Darwinismus und der Evolutionstheorie skeptisch gegenübersteht: „Glaubst Du wirklich, dass das was wir heute sind durch Evolution aus dem Affen entstanden ist?“ ist nicht meine Meinung, aber die Frage ist dennoch gut. Wir verschleißen uns jedoch nicht mit Meinungsverschiedenheiten, jeder darf seine Weltsicht behalten und bei Bedarf neue Einsichten integrieren.

Auf jeden Fall teile ich die Einstellung: „Alles ist möglich, wenn Du dir deiner wahren Ziele bewusst bist und alles dafür tust.“ sehr und finde hier einen Ort und vor allem Menschen die diese bestätigen.

Dem ist nichts hinzuzufügen.
Namaste.

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